top of page
Orasilas und der Drache - Florian Hoffmann
00:0000:00

Orasilas und der Drache (1039 BF)

Wie dumm war er gewesen. Alleine gegen dieses Ungetüm kämpfen zu wollen. Nachdem er in Vardall den Aushang gesehen hatte, dass ein Westwinddrache aus dem Steineichenwald hier seit Kurzem sein Unwesen trieb und die Schafe der hart arbeitenden Nostrier fraß, war er ohne Zögern aufgebrochen. Da stand er nun und blickte auf die felsige Lichtung. Der Drache schlief eingerollt auf einem Felsen, den Schwanz um den Kopf geschlungen. Die beiden Hörner ragten bedrohlich aus dem Knäul hervor. Rondra war ihm heute hoffentlich wohlgesonnen, denn einen Rückzieher wagte er nicht. Und in diesem Moment fragte sich Orasilas zum ersten Mal in seinem Leben, ob Mut nicht mit Torheit zu verwechseln war. Doch was für ein Erzpriester Rondras wäre er, wenn er sich nun feige wieder zurückzog? Es fielen ihm die ersten Zeilen seines täglichen Gebets als Novize ein:

Meine Herrin!
Dir will ich gehören ganz und gar, vor dir senke ich mein Haupt,
in deine Hände gebe ich mein Leben.

Er könnte sich selbst nicht mehr im Spiegel anblicken, erst recht könnte er Rondra nie wieder unter die Augen treten. Ganz zu schweigen davon, was er sich von Lysander anhören müsste. Er schmunzelte. Orasilas atmete ein paar Mal tief ein und aus. Seinen Rondrakamm, den er zur Priesterweihe von Paricio Lafanti bekommen hatte, fest in beiden Händen vor sich gestreckt und zum Angriff bereit. Sprach Orasilas ein letztes Gebet und erbat Rondras Kraft.

Heute, Herrin, gibt es kein Zurück, kein Schonen der Kräfte,
heute wird das Blut auf meinem Schwert nicht trocknen.
Mein Geist ist gestählt, stähle du, o Herrin, nun meinen Leib,
lass‘ deine Wildheit meine Adern durchströmen,
so dass mir die Kräfte nicht versagen, bis der Sieg der unsere ist!

Mut durchfloss ihn, wie ein warmer Schauer, eine warme Sommerbrise, wie die Praiosscheibe, die durch die Wolkendecke bricht. Er hatte das Gefühl alles erreichen zu können. Er schritt zwischen den Bäumen hervor und rief: "He, du! Ungetüm! Stelle dich mir zum Kampf!"

 


Ein dunkles Grollen ertönte. Dann ein Fauchen. Doch Orasilas spürte keine Angst. Rondra war mit ihm. Die glänzend blaugrünen Schuppen des Drachen glitzerten, als er sich erhob und wütend in seine Richtung spähte.

 

'Wer stört meinen Schlaf?', raunte es in Orasilas' Kopf. 'Menschenwuuuurm!'

 

Der Drache brüllte und Orasilas grinste: Was für ein Gegner!


Ihre Blicke trafen sich und beide spürten die Entschlossenheit des anderen.

 

"Erzpriester Orasilas Albio Raschid Chada Al'Zyra von Nostria", brüllte er. "Stelle dich dem Tod, Ungeheuer!"


Der Drache schnaubte verächtlich und schabte mit den Krallen auf dem steinigen Untergrund, dass es in den Ohren weh tat. In Orasilas‘ Kopf ertönte ein dunkles Lachen. und dann machte der Drache einen Satz und stürmte auf ihn zu. Orasilas bemerkte ein leichtes Humpeln einer der Hinterläufe. Eine Verletzung aus einem früheren Kampf? Oder gar von einem Artgenossen? Doch fehlte ihm die Zeit, weiter darüber nachzudenken. Unter wildem Schlachtruf stürmte auch Orasilas auf den Drachen zu.

Kurz bevor die beiden ungleichen Kontrahenten aufeinanderprallten, wich der Krieger der gewaltigen Bestie geschickt aus, vollführte eine Drehung und schlug mitten in der Bewegung mit seinem Zweihänder zu. Dieses Manöver hatte ihm sein Lehrmeister beigebracht. Es war eine von mehreren Paraden, die den Stil des Sturmtanzes ausmachten. Er traf den Drachen am Hals und Blut spritzte durch die Luft, doch das Tier störte sich kaum daran. Die Klinge war nicht tief eingedrungen. Mit einer Sprungrolle brachte sich Orasilas außer Reichweite des peitschenschwingenden Schwanzes. Wütend stampfte der Drache an ihm vorbei und war mit einem Satz in der Luft, schlug einmal mit den Flügeln und drehte sich in Richtung des Kriegers. Weich setzte das elegante Geschöpf auf dem Boden auf und funkelte ihn mit seinen kleinen, schwarzen Augen böseartig an. Orasilas stand bereit zum nächsten Angriff. In Angriffsstellung des Sturmtanzes, das vordere Bein leicht geknickt und das Hintere mit einem weiten Ausfallschritt zur Stabilisierung. Die Arme angewinkelt auf Schulterhöhe, das Schwert Richtung Feind. Eine kurze Stille, dann stürmten beide Kontrahenten aufeinander zu. Der Erzpriester mit wilden stürmischen Drehungen und Sprüngen. Der Drache mit einer urtümlichen Gewalt und einer Gewandheit, die man einem so großen Tier kaum zutrauen würde. Doch wieder konnte Orasilas ausweichen, leider verfehlte er dieses Mal den Drachen. Denn der hatte gemerkt, dass er es mit einem geschickteren Gegner als einem Reh oder Ork zu tun hatte. Und so änderte er seine Taktik und fuhr schneller als beim ersten Mal herum und schnappte nach Orasilas. Doch der Rondra-Geweihte konnte sein Schwert zur Parade ansetzen. Die Reißzähne des Ungetüms prallten auf den Stahl der Klinge. Orasilas schwankte leicht. Es knackte und der Drache brüllte auf. Ein Reißzahn flog im hohen Bogen an dem Krieger vorbei.

Aus dem Gleichgewicht gebracht, taumelte Orasilas einen Schritt zurück. Der Drache nutzte den Moment und fuhr mit seinem mächtigen Schweif herum.Der Schlag schleuderte Orasilas mehrere Schritte durch die Luft. Scheppernd prallte er auf und rang um Atem. Das tat weh. So schnell es ging, rappelte er sich wieder auf. Doch schnaufte er dabei wie ein alter Mann.

'Mein Schwert!‘ , schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte es beim Aufprall des Schwanzes verloren. Es lag direkt vor dem Drachen auf dem Boden. Wütend über sich selbst, zog er sein Nostrisches Langschwert, ein Familienerbstück namens Nostriaschwur und rief: „Komm doch, wenn du dich traust!“ Das ließ sich der Drache nicht zweimal sagen und spie Feuer.

Gerade noch rechtzeitig hechtete Orasilas hinter einen Felsen in Deckung, als der Feuerodem auch schon an ihm vorbeischoss. ''ei Rondra, ist das heiß! Wie eine feurige Salzarele.',  ging es Orasilas durch den Kopf und er konnte ein Grinsen nicht vermeiden. Als der Feuerschwall endete, erklomm er den Felsen, hinter dem er Schutz gesucht hatte. Oben angekommen, war er nun auf Augenhöhe mit dem Tier, das erneut mit aufgerissenem Maul nach ihm schnappte. Doch Orasilas war vorbereitet und diesmal wehrte er die Attacke mit seinem Schwert geschickter ab. Er lenkte die spitze Schnauze der Echse zur Seite und sprang mit einem großen Satz nach vorn. Galant landete er auf dem Nacken der Kreatur und hielt sich, so gut es ging, an dessen Hals fest. Er holte mit dem Schwert aus und ließ es niedersausen. Es knirschte, als das Metall, ohne Schaden anzurichten, an der dicken Haut des Reptils abglitt. 'Bei Rondra! Nicht einmal einen Kratzer hat es davongetragen.'

Lautes Brüllen erfüllte die Luft. Dem Drachen gefiel es gar nicht, einen Menschen auf sich zu tragen. Das Geschöpf machte einen Satz und sprang in die Luft, dann breitete er die Flügel aus. Damit hatte Orasilas nicht gerechnet. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, krallte er sich mit beiden Händen an den glatten Schuppen fest. Dabei musste er notgedrungen sein Schwert loslassen. Er fluchte. Was war er nur für ein Krieger? Schon zum zweiten Male hatte er seine Waffe verloren. Immer weiter ging es aufwärts. Fünf Schritte, zehn Schritte. Der Boden glitt immer weiter unter ihnen hinfort. Orasilas überlegte verzweifelt, wie er vom Hals des Drachen entkommen konnte. Springen war keine Option. Und so verstärkte er nur seinen Griff.

Wieder brüllte die Echse, fauchte und wand sich in der Luft, versuchte den gerüsteten Reiter loszuwerden. Doch dieser hatte eine gute Position und ließ sich nicht so ohne Weiteres abschütteln. Die Kreatur schnappte nach hinten und ihre Zähne streifte des Rondrakriegers Bein und rissen seine Hose auf. Rondra sei Dank hatte er die Beinschienen an. Besorgt stellte er fest, dass der Drache in seiner Rage nicht bemerkte, wie nahe er der Felswand kam. Eine Drehung später schnappte die Echse wieder nach hinten und stieß dabei mit einem Flügel gegen den Felsen. Es krachte beim Aufprall, Gesteinsbrocken splitterten ab und flogen durch die Luft. Mehr aus Verwirrung, denn aus Schmerz, schrie das geflügelte Wesen und geriet ins Schlingern. Orasilas Arme und Beine verkrampften sich, als der Boden gefährlich schnell auf die beiden Widersacher zuraste. Panisch sog er Luft in seine Lungen und hielt den Atem an.

Im allerletzten Moment fing sich der Drache und landete wenig grazil auf dem steinigen Boden. Ein gewaltiger Ruck presste Orasilas die Luft aus den Lungen und er knallte mit der Schulter gegen ein Horn des Drachen. Das Horn drang tief in seine Haut und nun schrie auch er auf. Orasilas drückte sich nach oben und spürte warmes Blut auf der Haut, er spürte den Schmerz, durfte sich jetzt aber keine Schwäche leisten. Einen Moment blieb ihm, in dem der Drache sich sammelte. Orasilas rutschte wenig galant vom Rücken des Tieres und stolperte vorwärts. Mit wackligen Beinen - der Flug hatte ihn mehr verunsichert, als gedacht - eilte der Krieger auf seinen Rondrakamm zu. Im Schein der Praiosscheibe blitzte ihm die Klinge spöttisch entgegen. Sein Arm hing nutzlos an seinem Körper herab. Kaum 30 Schritte entfernt. Er war zuversichtlich. Jedenfalls bis er das Brüllen und Fauchen seines geschuppten Gegners hinter sich vernahm. Offenbar hatte sich der Drache schon erholt und setzte prompt zur Verfolgung an. Nun kamen ihm die 30 Schritte viel weiter vor. Das Blut lief ihm den Arm hinab und er schloss kurz die Augen.

Unbesiegte, Donnernde, sei angerufen!
Dein Diener steht allein!
Des Feindes Macht scheint unbezwingbar
Herz wird bang, Kampfarm erlahmt.
Sende deine Kraft, deine Macht und deinen Segen.
Stärke stählern‘ Geist und ehern‘ Hand.
Es gilt der Bund, den wir einst knüpften,
denn unter deiner Huld wird keiner zagen.
In deinem Namen streite ich bis zum Sieg,
oder bis ich eingehe in deine Hallen!

Plötzlich fühlte Orasilas neue Kraft durch seinen Körper, seine Arme und seine Beine strömen. Er wurde immer schneller. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von seinem Namensschwert Raschid Chada Al'Zyra. Das Fauchen war schon fast bei ihm. Er spurtete weiter voran. Es gab für einen kurzen Moment nichts weiter außer ihm und seinem Schwert! Den Drachen verdrängte er. Er musste zu seinem Zweihänder! Mit seiner neu gewonnenen Kraft hechtete nach vorn, rollte sich ab und umschloss den Griff seines geliebten Rondrakamms. Noch in der Rolle drehte er sich um, hob das Schwert, stemmte sich mit den Füßen gegen den Lauf, Richtung Scheusal. Und Orasilas blickte direkt in sein aufgerissenes Maul. Mit einem Ruck verschwand die Klinge im Schlund des Drachen und durchdrang den Schädel. Ein lautes Knirschen ertönte als der Stahl die Schädelplatte durchbrach. Orasilas wurde mehrere Schritte nach hinten gedrückt, bevor beide Kontrahenten zum Stehen kamen und die geflügelte Echse leblos in sich zusammensackte.

Die Zähne des Ungetüms hatten sich einige Fingerlängen in sein Kettenhemd gebohrt und Orasilas fühlte erneut warmes Blut über seine Haut rinnen. Stille kehrte ein und ganz langsam legte sich der aufgewirbelte Staub. Seine Hände, Arme und Beine zitterten vor Anstrengung. Er ließ den Griff seines Schwertes los und der schwere Kopf des Drachen sackte zur Seite. Orasilas konnte die Augen des einst stolzen Tieres sehen und wie alles Leben aus ihnen erloschen war. Und erst jetzt begriff er es. Er hatte gesiegt. Er hatte einen echten Westwinddrachen erlegt.

'Danke Rondra für deinen Beistand!'

 

Er kniete so gut er konnte nieder und schloss die Augen in unendlicher Dankbarkeit.

Herrin Rondra!
Dein ist die Herrlichkeit des Kampfes!
Nach deinen Geboten überwand ich den Gegner,
doch dir allein gebührt die Ehre des Sieges!

Mit dem Ende des Kampfes und der eingekehrten Ruhe, spürte Orasilas die Auswirkungen seiner Verletzungen. Er hatte sich neben den offensichtlichen Wunden, einige Knochen geprellt und seine Lungen pfiffen bei jedem Atemzug. Langsam erhob er sich und stellte sich vor den Drachen. Er wollte sein Schwert aus dem riesigen Leib ziehen, jedoch versagten ihm die Kräfte. Zu viel Blut hatte er verloren. Er sprach den kleinen Heilsegen auf sich und setzte sich. Neben dem Bauch des Drachen war es warm und gemütlich. Nun wollte er sich ausruhen und später seine Schwerter und den Karfunkel des Drachen als Trophäe mitnehmen. Dann könnte er nach Havena zur Westwindsenne seines Bundes reisen. Vielleicht würden sie dort seinen Heldenmut anerkennen und ihn zum Praetor weihen. Mit diesem Gedanken schlief er friedlich im Schutze seines gefallenen Gegners ein. Behütet von Rondra.

Aus den Annalen von 'Praetor' Orasilas Albio 'Raschid Chada Al'Zyra' von Nostria alias Oskar Mewes

bottom of page